Das Festkomitee Kölner Karneval feiert 2023 Jubiläum: 200 Jahre alt werden der organisierte Karneval und mit ihm der Rosenmontagszug. Beide waren die Voraussetzung dafür, daß sich alle weiteren heute so selbstverständlichen Strukturen und Institutionen entwickeln konnten. Das Dreigestirn, Sitzungen und Bälle, die ganze Vielfalt der Kölner Karnevalsgesellschaften, ja selbst das Komitee selbst: Sie entwickelten sich erst im Laufe der vergangenen zwei Jahrhunderte. Dabei war der Karneval immer auch Spiegel der Zeit, mal politisch-brisant und mal auf „Kuschelkurs“ mit der Obrigkeit. Interne Zwistigkeiten stellten den organisierten Karneval in dieser Zeit ebenso vor Zerreißproben wie behördliche Verbote oder auch weltweite Kriege und Krisen. Und trotzdem war im Jahr 1823 etwas geschaffen worden, das nie verloren ging: Ein Fest mit dem Anspruch, für die gesamte Stadt da zu sein, bei dem jeder mitwirken kann und zu dem jeder eingeladen ist. Eben deshalb gab es nach jedem Tiefpunkt auch einen Neubeginn, fanden sich Protagonisten, die das Fest weiterführten und der Zeit entsprechend gestalteten – und so ist es bis heute. Oder – wie es der Kölner Pädagoge, Psychologe und Karnevalsexperte Wolfgang Oelsner aus sozialpsychologischer Sicht formuliert: „Der Karneval ist kein bloßes Event ohne vorher und nachher, er ist ein in der gesamten Stadt gelebtes Kulturgut, das das ganze Jahr über in den Köpfen und Herzen der Kölner präsent ist. Der Karneval hat den Menschen auch in schwierigen Zeiten immer wieder Kraft und Hoffnung gegeben.”
Gründung sollte einem Verbot zuvorkommen
Der als umtriebiger Unternehmer und Kommunalpolitiker in die Stadtgeschichte eingegangene Heinrich von Wittgenstein (1797-1869) machte in der kleinen Stadt Köln mit ihren nicht einmal 60.000 Einwohnern den Anfang: Als 25jähriger versammelte er 1822 eine Gruppe bildungsbürgerlicher Kölner in der Weinstube „Im Häuschen“, die im Folgejahr das „Festordnende Comité“ gründeten. Ihr gemeinsames Ziel war, den Karneval als altes Kölner Volksfest neu zu beleben, ihn in geordnete Bahnen zu lenken und ganz im Sinne des spätromantischen Zeitgeschmacks zu gestalten. Das über die Jahre zu einer rohen Angelegenheit gewordene Fest drohte sonst, von den seit 1815 in der Stadt herrschenden Preußen verboten zu werden. Den Gründern gelang es nicht nur, das zu verhindern, sie legten den Grundstein für vieles, was noch heute zum Fest gehört. Die Versammlungen, bei denen etwa auch gemeinsam gesungen wird, sind letztlich eine Keimzelle der heutigen Karnevalssitzungen. Von Beginn an gab es auch Bälle. Aber natürlich gehörte zu den Innovationen insbesondere der Rosenmontagszug, der am 10. Februar 1823 unter dem Motto „Thronbesteigung des Helden Carneval“ erstmals durch die Stadt zog.
Eine „karnevalistische Zellteilung“ führte zur heutigen Vielfalt
Heinrich von Wittgenstein gab die Führung des Comités 1836 an Peter Hubert Leven ab – ein Wechsel, der auch den Übergang vom eher akademisch-romantischen zum bürgerlichen Karneval markierte. Wenige Jahre später (1844) folgte dann eine erste Zäsur, als sich die „Allgemeine KG“ von der „Großen KG“ trennte. Letztere war bis dato gleichbedeutend mit dem Festkomitee gewesen. Doch nun wurden die Dinge komplizierter, und zwei Gesellschaften stritten um den Führungsanspruch – bis hin zur Organisation zweier rivalisierender Züge. Die Parteien konnten sich zwar 1848 einigen, aber der Damm war gebrochen, und statt einer KG gab es ab nun immer wieder abgespaltene oder neu gegründete Gesellschaften, die letztlich die heute übliche bunte Vielfalt begründeten. Immerhin herrscht in der Spitzenorganisation in den nächsten gut 40 Jahren wieder jecke Einigkeit. In der Zeit von Revolution, Restauration und Reichsgründung kam die industrielle Gründerzeit auch im ständig wachsenden Köln an. Der Karneval stand mal unter strenger Beobachtung bis hin zum Verbot (1851/1852), mal war er ganz auf Staatslinie und ließ sich etwa vom nationalen Taumel nach der Reichsgründung 1871 mitreißen. In dieser Zeit wurde der „Held“ 1872 auch zum „Prinzen“ Karneval umbenannt – gemeint als Verneigung vor dem Kaiserhaus.
Im boomenden Köln ging es auch für den Karneval steil bergauf
Die Rivalitäten zwischen Großer KG und Großer Kölner blieben virulent, beide Parteien einigten sich 1888 aber auf den Kompromiss, gemeinsam das Festordnende Komitee zu bilden. Die Präsidenten beider Gesellschaften amtierten nun als Doppelspitze. Das Modell funktioniert bis 1908 gut, und der Karneval boomte genauso wie die Stadt, die in dieser Zeit rasant wuchs: Innerhalb der alten Stadtmauer drängten sich vor dem Abriß 1881 bis zu 145.000 Einwohner. Nach dem Abbruch und der Besiedlung des freigewordenen Terrains sowie einer Reihe von Eingemeindungen wurden es nahezu doppelt so viele: 282.000 Einwohner hatte Köln 1890. Die Anziehungskraft der Großstadt hatte auch Auswirkungen auf den Rosenmontagszug, dessen Organisatoren nun auch gezielt darauf setzten, auswärtige Besucher anzulocken. Gleichzeitig kämpfte das Festkomitee gegen Auswüchse an den Karnevalstagen. So wurde 1892 ein Aufruf gestartet, das in Mode gekommene „Einschlagen der Hüte“ zu unterlassen. Im gleichen Jahr gab es erstmals einen Ball im Gürzenich, dessen Erlös zur Verschönerung des Zugs verwendet werden sollte. Der Clou: Die Veranstaltung wurde von einer Reihe von Vereinen getragen. Die „vereinigte Dienstags-Ball-Gesellschaft“ übernahm in den Folgejahren den Bau der Wagen für das Dreigestirn.
„Gründerwelle“ von Karnevalsgesellschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Der Kölner Karneval erlebte vor dem ersten Weltkrieg eine Blütezeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine wahre Gründungswelle, und viele der heute noch im Komitee organisierten Gesellschaften schlüpften aus dem Ei. Das lag vielleicht auch am rasanten Stadtwachstum, denn die Marke von einer halben Millionen Einwohnern wurde 1910 geknackt. Zwei Jahre zuvor vereinbarten die Große KG und die Große Kölner, daß sich nun ihre Präsidenten an der Spitze des Komitees abwechseln sollten. Auch das funktioniert, sodaß der letzte Zug vor dem ersten Weltkrieg zum bis dahin prächtigsten und größten wurde. Ein Jahr später befand sich Europa mitten im Krieg, und an Karneval war lange Zeit nicht zu denken. Denn nach Kriegsende herrschten Inflation und wirtschaftliche Not, die englischen Besatzer verboten das Fest. Dennoch wagten schließlich drei Männer den Neubeginn: Peter Prior, Carl Umbreid und Fritz Maaß entwarfen 1922 eine neue Satzung des Festkomitees: Von nun an kann sich jede Karnevalsgesellschaft der Stadt dem Komitee anschließen – damit gibt es die bis heute gültige Struktur.
Zwischenkriegszeit: Karneval im Dienste der NS-Propaganda
Sitzungen wurden ab 1925 wieder erlaubt, der erste Rosenmontagzug als „Kappenfahrt“ im Jahr 1927 veranstaltet. In der Weimarer Zeit nahm das Fest einen ambivalenten Verlauf: Nach der Überwindung der entbehrungsreichen Nachkriegszeit gab es Nachholbedarf. Zwar stoppt die Weltwirtschaftskrise 1931 und 1932 alle karnevalistischen Aktivitäten, doch in den restlichen Jahren wuchs das Fest in jeder Hinsicht – es gab immer mehr Bälle und Sitzungen, die Züge werden immer größer und zogen immer mehr Zuschauer an. Gleichzeitig hatten viele Karnevalisten nach der nationalsozialistischen Machtergreifung keine Berührungsängste mit der NS-Ideologie. Antisemitische Karnevalslieder waren populär, und Karnevalisten jüdischen Glaubens wurden ausgegrenzt. Nur wenige Künstler und Karnevalisten stellten sich dem entgegen, viele bemühten sich um politische Harmlosigkeit. Die Vereinnahmung des Festes durch die NS-Ideologie gelang auch nicht vollständig, weil die etablierten Karnevalisten ihre Machtpositionen nicht aufgeben wollen. Doch die Unterordnung wird dennoch immer umfassender und der Karneval profitiert etwa massiv von der Werbung, die die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ für ihn macht. Dass die bislang von Männern dargestellten Mariechen und Jungfrauen im Dreigestirn schließlich von Frauen dargestellt werden, ist nur eines von vielen sichtbaren Zeichen der Unterwerfung.
Schwieriger Neubeginn nach dem Weltkrieg
Ein Protagonist, der beispielhaft für die Anbiederung des Karnevals an die Herrschenden steht, ist Thomas Liessem. Der Präsident der Prinzen-Garde Köln hatte keine Berührungsängste zum Nationalsozialismus, gehörte aber nach dem Krieg zu jenen, die behaupten, der Karneval hätte mit der Diktatur nichts zu tun gehabt. Aus heutiger Sicht völlig unverständlich: Ab 1954 stand Thomas Liessem noch einmal an der Spitze des 1947 neu gegründeten Komitees – trotz seiner Nähe zum NS-Regime. Unmittelbar nach Kriegsende war es zunächst Albrecht Bodde gewesen, der im völlig zerstörten Köln die Arbeit für das Brauchtum wieder aufnahm. Nach schwierigem Beginn gab es ab 1949 wieder einen Zoch, erneut zunächst als „Kappenfahrt“. Viele karnevalistische Innovationen wurden in dieser frühen Nachkriegszeit geboren: Das Literarische Komitee, und der „Große Senat“ ebenso wie die vereinten Schull- un Veedelszöch. Selbst die Sessionseröffnung am 11. im 11. und die Mädchensitzungen (als „Hausfrauennachmittag“) sind „Erfindungen“ dieser Zeit.
Boom führte in die Erstarrung
Wiederaufbau und Wirtschaftswunder prägten die folgenden Jahrzehnte, in denen es auch für den Karneval aufwärts ging. Das Fest bot genau die richtigen Formate für den Zeitgeist, der NS-Unrecht und Kriegstraumata ad acta legen wollte. Bereits 1950 säumten zum 1900. Stadtjubiläum erstmals rund eine Millionen Zuschauer den Zugweg. Wer es nicht selbst dorthin schaffte, konnte im immer weiter verbreiteten Fernsehen teilhaben – denn immer öfters wurden Karnevalsveranstaltungen und auch der Zug selbst von Fernsehkameras eingefangen. Die Kölner Künstler wurden so ein prominenter Teil der deutschen Populärkultur. Doch das tat dem Karneval auf die Dauer nicht gut. Im Laufe der Jahre verflachten die Inhalte, das Fest erstarrte in Formen und Themen. Das war für die junge Nachkriegsgeneration unattraktiv. Während es an den Unis brodelte und Studentenproteste einen neuen Diskurs einforderten, diskutierte man im Karneval darüber, daß es zu viele Frauen im Rosenmontagszug gäbe – denn eigentlich waren weibliche Teilnehmer vom Zug ausgeschlossen. Und so war zu Beginn der 1970er-Jahre der Umbruch überfällig. Zwar feierten der organisierte Karneval und die Stadt 1973 zum 150. Jubiläum ein schillerndes Fest – doch im Jahr zuvor standen auch die „Bläck Fööss“ zum ersten Mal auf der Karnevalsbühne. Die ursprüngliche Beat-Kapelle trat barfuß, mit Verstärker und E-Gitarre vor das Publikum, brachte Themen und musikalische Formen in die Sitzungssäle, die dort wie eine Revolution wirkten. Es war ein Wendepunkt.
Mühsamer Weg zum modernen Komitee
Ferdi Leisten, der das Komitee bis zum Jubiläum erfolgreich führte, gab das Präsidentenamt danach ab. Auf ihn folgte eine Reihe von Präsidenten, die mit ihren Vorstandsteams einerseits viele Innovationen und Reformen auf den Weg brachten, andererseits aber das Brauchtum hochhielten. Mit Maßnahmen wie stärkerer Jugendförderung und zunehmender Emanzipation weiblicher Karnevalisten wurden dringend notwendige Korrekturen vorgenommen. Die Gründung einer eigenständigen Wirtschafts-GmbH und die Analyse von Image und Wirtschaftskraft des Festes mit Studien von McKinsey und später der Boston Consulting Group gehörten dazu. Letztere brachte auch ans Tageslicht, daß der offizielle Karneval zwar breite Zustimmung erfuhr – aber auch weithin als verkrustet und „Altherrenveranstaltung“ wahrgenommen wurde. Nicht umsonst gab es seit 1984 die Stunksitzung, die eben diese alten Formen auf die Schippe nahm und dennoch das Volksfest auf eigene Weise interpretierte und feierte. Das Fest zum 175. Jubiläum des reformierten Karnevals markiert so einen weiteren Wendepunkt.
Professionalisierung und Öffnung für alle Teile der Stadtgesellschaft
Der Umzug des Festkomitees in sein derzeitiges Domizil am Maarweg im Jahr 1999 war sichtbares Zeichen für den Beginn einer Professionalisierung und auch Öffnung: Erstmals waren alle Funktionsbereiche inklusive der Wagenbauer unter einem Dach zusammengefasst. Zudem sollte ein deutlich gewachsenes Museum für alle interessierten Besucher offenstehen und eine Eventhalle für vielfältige Anlässe genutzt werden können. In den folgenden Jahren bemühte sich das Festkomitee weiter um eine Öffnung hin zu allen Teilen der Stadtgesellschaft, stellte sich der überfälligen Aufarbeitung der NS-Jahre und übernahm in vielen Punkten zusätzliche Verantwortung. Dazu gehörte, eine Reihe neuer Karnevalgesellschaften in den Kreis der Komitee-Gesellschaften aufzunehmen und in den Dialog mit den alternativen Karnevalisten einzusteigen. Ebenfalls notwendig wurde auch einmal mehr, Auswüchse zu bekämpfen. Das Festkomitee bemühte sich deshalb zum Beispiel gemeinsam mit der Stadt, jungen Feiernden an den Hotspots wie dem Kwartier Latäng einen Ort zum sicheren Feiern zu bieten – eine Aufgabe, die wohl auch in den kommenden Jahren ein Thema bleiben wird. In den Jahren vor dem 200. Jubiläum 2023 brauchten dann alle Beteiligten im organisierten Karneval ihre ganze Kraft, um das Fest durch die Pandemie zu steuern und mit neuen Formen für Lichtblicke in einer Zeit voller Einschränkungen und Herausforderungen zu sorgen. „Die Corona-Zeit, aber auch die Friedensdemonstration am Rosenmontag 2022 mit 250.000 Menschen haben gezeigt, daß Karneval in Köln mehr ist, als nur Party und Tätärä“, sagt Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval. „Er ist der Kitt, der das soziale Gefüge der Stadt zusammenhält und auch noch da ist, wenn andere Gewissheiten des Lebens in Krisenzeiten über Bord geworfen werden mussten. Diese soziale Funktion des Karnevals bietet kein Event der Welt, sondern nur ein von allen Teilen der Bevölkerung getragenes Kulturgut.”
Quelle und Grafik: Festkomitee Kölner Karneval von 1823 e.V.
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